Tun und Lassen. Verzicht zwischen Nachhaltigkeitspolitik und spiritueller Sinnsuche

Tun und Lassen. Verzicht zwischen Nachhaltigkeitspolitik und spiritueller Sinnsuche

Veranstalter
Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg
Veranstaltungsort
Katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg, Wintererstraße 1
PLZ
79104
Ort
Freiburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
02.11.2023 - 04.11.2023
Deadline
30.09.2023
Von
Inga Wilke, Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Universität Freiburg

6. Tagung der Kommission „Religiosität und Spiritualität“ in der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft, 2. bis 4. November 2023, Freiburg im Breisgau.

Die Tagung nimmt unterschiedliche Motivationen für und Funktionen von Verzicht im Spannungsverhältnis religiös-spiritueller und säkularer Diskurse und Praktiken kulturwissenschaftlich in den Blick.

Tun und Lassen. Verzicht zwischen Nachhaltigkeitspolitik und spiritueller Sinnsuche

Vor dem Hintergrund der aktuellen Mehrfachkrise (Pandemie und Lieferengpässe, Ukraine-Krieg, Klimawandel) ist Verzicht ein präsentes Thema geworden. Um etwa den Energiebedarf zu senken, soll – bereits heute oder schon bald – auf alltäglich Selbstverständliches wie eine Raumtemperatur von 24 Grad oder die heiße Dusche verzichtet werden.

Genügsamkeit, Suffizienz, Sparsamkeit oder Konsumverzicht sind gegenwärtig populäre Praktiken und Konzepte, zugleich schließen sie aber auch religions- und kulturhistorisch an traditionsreiche Praktiken der Askese mit spiritueller Lagerung an: Die Idee der individuellen Selbstrücknahme zugunsten eines größeren, übergeordneten oder „höheren“ Anliegens. Vielfältige Formen der mehr oder weniger freiwilligen Selbstbeschränkung, wie sexuelle Enthaltsamkeit, Besitzlosigkeit, Gehorsam, Spendenbereitschaft oder Fasten sind in religiösen Kontexten als spirituell oder ethisch positiv gerahmte Praktiken sowohl propagiert als auch problematisiert worden. Sie weisen jedenfalls weit zurückreichende kulturgeschichtliche Situierungen auf und sind – so eine Ausgangshypothese der geplanten Tagung – in gegenwärtigen Reduktionsdiskursen weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß wirksam. Inwiefern kann von säkularen Spiritualitätspraktiken der Sinnsuche gesprochen werden, wenn Menschen heute radikal ihre Ernährung, ihr Mobilitäts- oder Konsumverhalten einschränken? Oder geht es hier überhaupt nicht um spirituelle, sondern ausschließlich um konkrete politische und allenfalls ethische Anliegen?

Bezüge zum Verzicht bewegen sich in einem spannungsreichen Spektrum: Am einen Ende erscheint Verzicht als pragmatische Reaktion auf Sachzwänge. Er ist hier negativ konnotiert und erfolgt eher gezwungenermaßen, zähneknirschend und widerwillig aus der Einsicht in die Notwendigkeit heraus. Am anderen Ende des Spektrums ermöglicht Verzicht, sich höheren Sinndimensionen zu öffnen und sich als Teil eines größeren Ganzen zu erleben. Verzicht ist dann positiv konnotiert und mehr als eine pragmatische Reaktion. Ideen der Selbstrücknahme und Praktiken des Verzichts können innerhalb dieses Spektrums beschrieben und eingeordnet werden.

Die 6. Arbeitstagung der DGEKW-Kommission „Religiosität und Spiritualität“ im November 2023 möchte diese Gemengelage unterschiedlicher Motivationen für und Funktionen von Verzicht im Spannungsverhältnis religiös-spiritueller und säkularer Diskurse und Praktiken kulturwissenschaftlich aufgreifen und diskutieren. Dazu soll der Niederschlag traditioneller religiöser Vorstellungen in gegenwärtigen Verzichtspraktiken ebenso thematisiert werden wie Neukonfigurationen des Selbstbeschränkungsethos jenseits traditioneller religiöser Bestimmungen.

Ein Ziel der Tagung ist es, aktuelle kulturwissenschaftliche Beobachtungen und Fragestellungen zu den hier aufgerufenen Imperativen der Sinnstiftung mit Überlegungen zu religionsgeschichtlichen oder weltanschaulichen Bezügen in Korrespondenz zu bringen und damit auch die Potenziale eines kulturwissenschaftlich geweiteten Spiritualitätsbegriffs empirisch fundiert auszuloten.

Anmeldungen für Interessierte (ohne Beitrag) sind bis zum 30. September 2023 möglich: verzicht@kaee.uni-freiburg.de.

Programm

Donnerstag, 2. November 2023 (Kath. Akademie der Erzdiözese Freiburg, Wintererstr. 1, 79104 Freiburg)

13:30 – 17:30
Eröffnung und Einführung in das Tagungsthema (Timo Heimerdinger, Hannah Kanz und Inga Wilke)

Lara Gruhn, Universität Zürich (Institut für Sozialanthropologie und
Empirische Kulturwissenschaft)
„Ich sehe es halt nicht als Verzicht.“ Zur Zurückweisung des Verzichtsbegriffs im Feld des ethischen Konsums

Silke Meyer, Universität Innsbruck (Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie)
„Man kann auch ohne glücklich sein.“ Schulden, Verzicht und neoliberale Agency

Pause

Lea Breitsprecher und Sarah May, Universität Freiburg (Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie)
(Auf Verzicht) verzichten – Positionierungen im Feld bioökonomischer Innovationen

Felix Gerloff, Fachhochschule Nordwestschweiz (Institut Experimentelle Design- und Medienkulturen)
Nichts Tun ist auch eine Handlung – Diversität statt Maßregeln als Leitprinzip auf der Suche nach ökologischen Lebensweisen

19:30
Vortrag von Ulrike Herrmann: „Eine Welt ohne Wachstum“ in der Reihe „Konturen der nächsten Gesellschaft“ der Katholischen Akademie

Freitag, 3. November 2023

9:00 – 13:00
Nachgespräch mit Ulrike Herrmann

Michael Plattig O.Carm., Karmeliter und Theologe, (Institutum Carmelitanum Rom)
Von der Übung des Verzichts zum Armutsideal in der christlichen Tradition

Antonia Rumpf, Ruhruniversität Bochum (Lehrstuhl für Praktische Theologie)
Verzicht im Kontext zeitgenössischen christlichen Fastens

Pause

Christine Aka, Kulturanthropologisches Institut für das Oldenburger Münsterland
Armut, Gehorsam und Keuschheit. Verzicht als Lebensaufgabe katholischer Missionarinnen

Claudia Willms, Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Soziologie)
Zwischen Kapitalismuskritik und Gottgefälligkeit: Embodied ethics und religiös motivierte Praktiken des Verzichts

14:30 – 18:00
Michaela Bill-Mrziglod, Universität Koblenz (Institut für Katholische Theologie)
Asketischer Weltverzicht als spirituelles und politisches Weltverantwortungsprinzip

Ruben Zimmermann, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Zentrum für Ethik in Antike und Christentum)
Verzichten ist mehr als Unterlassen. Handlungstheoretische Grundlagen und Matrix einer Ethik des Verzichts

Pause

Heike Paul, Universität Erlangen-Nürnberg (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Zwischen Entsagung und Erfüllung: Verzicht im klassischen Hollywood-Melodrama

Julia Gerlach, Politikwissenschaftlerin (Evangelische Akademie Sachsen)
Wann ist der Mensch gut? Verzicht als Verortung

19:00
Podiumsdiskussion (in Kooperation mit der Katholischen Akademie, Rebecca Albert und Norbert Schwab):
„Mit Freude verzichten? Historische, therapeutische und religiöse Erfahrungen“
Auf dem Podium:
Sr. Elisabeth Bäbler OFS (Geistliches Zentrum Eremitage Franziskus, Wilnsdorf)
Christian Firus (Psychotherapie, Glotterbad)
Annette Kehnel (Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim)
Moderation: Timo Heimerdinger (Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Universität Freiburg)

Samstag, 4. November 2023

9:00 – 11:00
Heike Derwanz, Akademie der Bildenden Künste Wien (Institut für das künstlerische Lehramt)
„Seitdem ich auf der Minimalismus-Schiene bin…“: Zwischen populärem Wissen, Legitimierungen und subjektiven Theorien

Eberhard Wolff, Universität Basel (Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie)
Religioide Nachhaltigkeit. Die Analyse religiöser Bezüge in ökologischer Alltagskultur – am Beispiel eines achtsam-verzichtsorientierten Hotels

Akemi Kaneshiro-Hauptmann, Präfektur-Universität Toyama, Japan (Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Lehrstuhl für vergleichende Kulturwissenschaft)
Entrümpeln und loslassen, um gesund zu leben anhand eines mehrsprachigen Ratgeberbuchs aus Japan und der darin vorgestellten Methode „Dan-sha-ri“- eine traditionsgemäße neuorientierte japanische Putzkultur

11:30 – 12:30
Abschlussdiskussion

13:30 – 14:30
Sitzung der Kommission „Religiosität und Spiritualität“ in der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft

Kontakt

E-Mail: verzicht@kaee.uni-freiburg.de

https://religiositaet.wordpress.com/2023/06/16/programm-der-tagung-tun-und-lassen-verzicht-zwischen-nachhaltigkeitpolitik-und-spiritueller-sinnsuche/
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